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Privat oder öffentlich?

Dieser Blogbeitrag befasst sich mit Wagners (2019) wissenschaftlicher Aufarbeitung kommunikativer Leistungen der Nutzer auf Facebook. Ihr Forschungsinteresse beruht darin, eine soziologische Beschreibung von Schreibweisen auf Facebook und Erkenntnisse über die dortigen Praxisformen der Nutzer zu erbringen. Die Autorin nutzt hierfür gesammelte Daten einer empirischen Studie, welche unter anderem auf Transkripten eines explorativ-narrativen Interviews und auf Daten einer Online- Ethnographie basiert.

Im soziologischen Diskurs ist vor allem die Differenzierung und Zuweisung der Begriffe Communities, Netzwerke und Schwärme für die Beschreibung internetbasierter Kommunikationsformen von zentraler Bedeutung. An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie sich die Kommunikationspraktiken auf Facebook in diese Dreiteilung einordnen lassen.

Kommunikationspraktiken auf Facebook als Communities, Netzwerke oder Schwärme?

Der Begriff der Communities – insbesondere der Virtual Communities – lässt sich mit dem Sozialen, beziehungsweise mit der Beschreibung von Sozialformen im Netz gleichsetzen. Er ist als Gegenbegriff zu der modernen Vergesellschaftung zu verstehen. In diesem Zusammenhang greift sie den Begriff der Pseudo-Communities auf, der bislang dazu diente, eine Abgrenzung zu regulären Communities, die aus der Interaktion unter Anwesenden resultieren, zu beschreiben. Pseudo-Communities hingegen basieren auf eine Personalisierung der Massenkommunikation.  Sie kennzeichnen sich dadurch, dass keine unmittelbaren Kontakte hergestellt werden und folglich keine physische Kenntnis der Beteiligten vorliegt. Hinzu kommt eine Emotionalisierung der Kommunikation zur Vertrauensschaffung, welche allerdings auch die Bildung kurzfristiger Interaktionssysteme begünstigt.

Von besonderem Interesse ist die daraus resultierende Ambivalenz zwischen Privatheit und Öffentlichkeit und das ungeklärte Verhältnis zwischen Innenwelt und Umwelt. Netzwerke hingegen fassen Online-Beziehungen als eigenständige Sozialform auf, welche zwischen den realweltlichen Gruppen und den imaginierten Gemeinschaften steht. Unter den Begriff des Netzwerks fallen sowohl abgegrenzte Gruppen, deren Inhalte primär innerhalb der Gruppe bleiben, als auch durchlässige, weitreichende und sich verzweigende Netzwerke mit einer Verbindung zu Nicht-Mitgliedern. Mit inbegriffen sind ebenso heterogene wie auch kulturell homogene Netzwerke.

Verdichten sich diese Netzwerke, so bezeichnet man diese als Schwärme. Deren zentrale Kennzeichen sind das Fehlen eines Massengeistes, beziehungsweise einer Massenseele im Sinne eines Gemeinschaftsgefühls. Jedoch führt die Autorin außerdem an: „Die Bewegungsmuster von Schwärmen sind flüchtig und instabil, sie lösen sich ebenso schnell auf, wie sie entstanden sind“ (Wagner 2013: 250).

Die bisher behandelten Begriffe des soziologischen Diskurses lassen sich zwar auf die  Kommunikationspraktiken auf Facebook übertragen und außerdem auf die Social-Networks alternativ rekonstruieren, allerdings treffen diese lediglich auf spezifische Sachverhalte zu und bedürfen Ergänzungen und Rekontextualisierungen. Aus diesem Grund führt die Autorin den zunächst paradox erscheinenden Begriff der intimisierten Öffentlichkeit ein,  auf dem im Folgenden näher eingegangen wird.

Facebooks Öffentlichkeiten als Intimisierte Öffentlichkeiten?

Um die Frage zu beantworten, inwiefern sich die auf Facebook konstituierten Öffentlichkeiten als intimisierte Öffentlichkeiten begreifen lassen, ist es zunächst sinnvoll, zwischen Öffentlichkeit und Privatheit auf Facebook zu differenzieren und sich zu fragen, wie eine private Nutzung von Facebook aussehen könnte.

Eine Möglichkeit bietet dabei das Feature, Kontakte ein- und ausschließen zu können. Durch den Ausschluss von Kontakten entsteht beim Ausschließenden ein Gefühl der Privatheit. Mit den bestehenden Kontakten wird allerdings nach wie vor eine Öffentlichkeit und ihr Bestehen gewährleistet. Das hier angesprochene Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit stellt insofern eine intimisierte Öffentlichkeit dar, als die Öffentlichkeit aus einem großen Netzwerk vieler Kontakte besteht. Diese werden jedoch einer Intimisierung unterzogen, indem die Illusion einer geschlossenen Gruppierung durch Verknappung von Kontakten hergestellt wird.

Dieser Mechanismus wird durch die auf Facebook agierenden Algorithmen unterstützt. Mit dem Algorithmus erfolgt eine Selektion der angezeigten Inhalte auf der Startseite anhand folgender Kriterien, die Wagner einer Analyse von Felix Stalder entnimmt. (vgl. früherer Blogbeitrag)

  • Der bisherige Interaktionsverlauf zwischen Nutzern (Affinität)
  • Die Interaktionsrate der Nutzer in Bezug auf den Beitrag (Gewichtung)
  • Wie lange ein Online-Beitrag bereits öffentlich ist (Aktualität)

Mit dieser Selektion ergibt sich auch das Phänomen der sogenannten Filter-Bubbles. Strittig ist hierbei, ob der Algorithmus als Möglichkeit der Ordnungsgenerierung oder aber als Ursache der Selbstmanipulation angesehen werden sollte. Die Autorin verweist hierbei auf die Interviewdaten. Einer der Interviewten sieht im Algorithmus vor allem die Möglichkeit der Ordnungsgenerierung.

„Worüber sprichst du nochmal?“ – Problem kommunikativer Diskontinuität

Bei den Kommunikationspraktiken auf Facebook ist auffällig, dass durch die schnelle Taktung der Kommunikation sowie durch die Aktualisierung der Startseite, die Bezugnahme der Teilnehmenden aufeinander erschwert wird. Diese Diskontinuität der Kommunikation hat zur Folge, dass Sprecherpositionen zueinander symmetrisiert werden, indem sich die Beiträge der Sprecher und ihre Platzierung auf der Startseite zueinander gleich verhalten. Dazu kommt, dass durch die Diskontinuität die Wahrscheinlichkeit von argumentativen Debatten minimiert wird. An ihre Stelle treten Formen affektiver, emotionaler Befindlichkeitskommunikation und öffentliches in Szene setzen der Person. Diese schnell aufkeimenden und abebbenden Diskurspraktiken zeigen sich am Beispiel von sogenannten Shitstorms, womit ein plötzliches und gehäuftes Auftreten oft unsachlicher Kritik verstanden wird sowie von den Shitstorms gegensätzlichen Candystorms. Beide Phänomene können als Beispiele für die im Vorfeld behandelten Schwärme betrachtet werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dieses Mischverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit der bereits aufgeführten intimisierten Öffentlichkeit entspricht. Diese lässt sich als Ergebnis der Facebooknutzung begreifen, die durch das Ausblenden von Unangenehmem, durch die Homogenisierung der Inhalte auf der Startseite, durch die Emotionalisierung des Kommunikationsstils und durch die Diskontinuierung sowie der Technisierung durch Algorithmen gekennzeichnet ist.

Quelle: Wagner Elke (2019): Intimisierte Öffentlichkeiten. Zur Erzeugung von Publika auf Facebook. In: Stempfhuber, Martin/ Dies. (Hg.): Praktiken der Überwachten: Öffentlichkeit und Privatheit im Web 2.0. Springer, S. 243-266.

Bilderverzeichnis: 

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Abb.2 https://cdn.pixabay.com/photo/2018/02/07/12/01/connection-3136938_1280.jpg

Erstellt von Daria Wunder, Polya Vasileva, Christoph Büntzly, Yuxi Luo, Sophie Nadler

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