Warum weniger manchmal mehr ist!

Worum geht es bei Grindr?
Grindr ist eine Dating-App für homosexuelle Männer, in welcher die User Profile erstellen und miteinander somit in Kontakt treten können.
Der Chat Grindrs beinhaltet zwei relevante Funktionen: sending pictures und location (Licoppe et al. 2016: 2543).
Öffnet man einen Chat (indem der User auf das Profilbild klickt), eröffnen sich drei Möglichkeiten, von denen zwei als essenzielles Mittel der Grindr-App fungieren. Zum einen handelt es sich um das allgemeine Chatten, was im Verhältnis zu den beiden anderen Funktionen eher in den Hintergrund rückt (Licoppe et al. 2016: 2543).
Zum anderen ist hierbei das Versenden von Fotos, sowie das Versenden des genauen Standortes entscheidend (Licoppe et al. 2016: 2543).
Die Funktion Grindrs besteht darin, Usern zu einer schnellen sexuellen Begegnung zu verhelfen, indem die App auf einen Blick die Vielfalt homosexuellen Männer in der unmittelbaren Umgebung vorgibt. Der erste unmittelbare Kontakt zweier Männer verläuft somit über die elektronische Konversation (Licoppe et al. 2016: 2544).
Die Feldstudie
Rekrutiert wurden 23 männliche User Grindrs. Von vier Personen wurde die Smartphoneaktivität während der Grindr-Nutzung mithilfe von video recording festgehalten (Licoppe et al. 2016: 2544). Mithilfe der damit entstandenen Daten, sowie der Durchführung von Interviews, sollten drei Aspekte herausgearbeitet werden (Licoppe et al. 2016: 2544):
- das Setting, in welchem Grindr genutzt wird
- der Wechsel zwischen verschiedenen Aktivitäten innerhalb der Grindr-App, sowie der Wechsel zwischen Grindr und anderen Funktionen des Smartphones
- hilfreiche Daten über die Produktion von messaging-mediated encounters. Gemeint ist damit, die durch den Messenger vermittelten Treffen zweier User (Licoppe et al. 2016: 2544).
Hook-ups und das Bewusstsein über die unmittelbare Nähe anderer User
Hook-up ist die Bezeichnung für das, worauf der Chat zielführend aufbaut. Hierbei handelt es sich um die (in der Regel) einmalige sexuelle Begegnung zweier unbekannter Männer, innerhalb eines kurzen Zeitraums (Licoppe et al. 2016: 2545).
Einer der befragten User erklärte, dass die Nutzung Grindrs leicht sei und dass der Konsum einer schnellen sexuellen Erfahrung durch Grindr begünstigt wird (Licoppe et al. 2016: 2545).
„I found it (Grindr) was very simple and it was really for the consumption of fast sexual encounters. (…)” (S., 31 years old).
Das Treffen mit einem Fremden, die sexuellen Spannungen die dadurch erfolgen, sowie die unmittelbare Befriedigung werden in dem Artikel als one night stand bezeichnet, welches vom französischen Begriff plans cul abgeleitet wurde (Licoppe et al. 2016: 2545).
Grindr und das nötige Übel des Kommunizierens
Hat man(n) nun das Objekt seiner Begierde ausfindig gemacht und sich mit ihm erfolgreich gematched, kann es über die integrierte Messenger Funktion in der App zu einem ersten Kontakt kommen. Zwangsläufig muss auch der typische Grindr-Nutzer in der App für seine Interessen Interaktionen eingehen. Allerdings stehen die typischen kommunikativen Herangehensweisen im Kontrast zu den Webbasierten Datingseiten, die sich an kommunikativen Praktiken des alltäglichen Lebens orientieren:
„Before with dating sites in Lyon, I was focusing only on two or three conversations but with good exchanges of emails. There was an affinity being created and often we moved on to other media, either text messages or on Facebook, something which would allow for a quieter exchange. So there were few people, I was going there from time to time, and I was focusing on a few conversations which I liked. But on Grindr it’s become every day, I go left and right, I get less involved in conversations and they also get less interesting. That’s the way I see it at least. It’s always the same questions which come back ‘Hello, how do you do? What are you looking for? Where are you living’, sometimes ‘what do you do?’ (M., 24 years old)“ (Licoppe et al. 2016, S. 2548).
Wie dieser Ausschnitt aus dem Interview mit dem 24-Jährigen verdeutlicht, zeigen Nutzer Webbasierter Datingseiten ein großes Interesse daran persönlichen Gespräche zu führen, die sich zunächst als rein platonisch Beziehungen äußern, aber das Potenzial haben sich darüber hinaus weiterentwickeln zu können. Das bedeutet nun nicht, dass alle Grindr-Nutzer potenziell freundschaftliche Begegnungen aus dem Weg gehen – ganz im Gegenteil: Eine kleine Randgruppe von Nutzern, nutzt die App regelmäßig für zwanglose Gespräche mit Gleichgesinnten und für eine Unterhaltung über die Dinge des Alltäglichen:
„For me I use it (Grindr) as a chat. It’s to talk. […] There’s just one person with whom I talk regularly […] It’s a friendly relationship […], we talk about what we do, where we go out, what we will do for our holidays. (G., 33 years old)“ (Licoppe et al. 2016, S. 2547).
Um aber nicht als prey in den Fängen der hunter (vgl. Licoppe et al 2016: 2547) zu landen, müssen die Absichten beider Interaktionsteilnehmer von Anfang an klar sein:
„(On Grindr) you’ve got to put a stop to them. I tell them (typical Grindr users) ‘I’m not like that’. […] (E., 43 years old)“ (Licoppe et al. 2016, S. 2548).
Die kommunikativen Herangehensweisen der typischen Grindr-Nutzer
„If I want to talk, […] I don’t need to go on Grindr to talk. It’s for sexual quickies […] If I see you in my head as a sexual prey, I can’t imagine you one second as a friend. That is the way it is.“ (Licoppe et al. 2016: 2547).

Typische Grindr-Nutzer kommen im Chat direkt zur Sache, sie reden nicht lang drum herum. Man könnte fast glauben, dass der Großteil dieser Nutzer gerne mit der Tür ins Haus fällt. Hinter ihren kurzen, präzisen sich z.T. wiederholenden Fragen verbirgt sich eine Checkliste, die sie für ihre Herangehensweise im Chat nutzen (Licoppe et al. 2016: 2548). Diese Herangehensweise wird vom Großteil genutzt, um schnelle Begegnungen zu vereinbaren, die zu einer sexuellen Befriedigung führen ohne hinterher irgendwelche Verpflichtungen gegenüber dem Sexualpartner eingehen zu müssen (Licoppe et al. 2016: 2548).
Nutzer haben die Möglichkeit im Chat sich multimodal auszudrücken. Das Teilen von Bildern und besonders das von Standorten, ist ausschlaggebend für ein schnelles zwangloses Treffen (Licoppe et al. 2016: 2546). Abbildung 2 zeigt ein weiteres Zeichen für diese typische Herangehensweise nach der Checkliste: Das unmittelbare nacheinander Schicken von mehreren Nachrichten ohne, dass der Nutzer die Antworten seines Chatpartners abwartet.
Aber selbst, wenn Nutzer – bewusst oder auch unbewusst – nach dieser Checkliste vorgehen, um schnell anderen in zwanglosen Treffen zu begegnen, heißt dies noch lange nicht, dass es auch tatsächlich dazu kommen muss. Entweder werden hunter von ihren jeweiligen potenziellen preys direkt gestoppt oder das anfängliche Schreiben entwickelt sich doch zu einem alltäglichen Gespräch. Das passiert bspw., wenn beide für eine schnelle Begegnung zu weit voneinander entfernt sind (Licoppe et al. 2016: 2554). Demnach besteht eine schmale Linie zwischen der ursprünglichen Intention nur eine schnelle sexuelle Begegnung im Chat in die Wege leiten zu wollen und dem, was hunter eigentlich vermeiden wollen: Ein alltägliches Gespräch zu beginnen (Licoppe et al. 2016: 2553-2555).
Anmerkung
Auf Grundlage des Artikels könnte man sagen, dass die Nutzung Grindrs eine Option für die Männer darstellt, deren primäres Ziel keine feste Partnerschaft, sondern ein einmaliges Erlebnis sein soll. Zudem ist es aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive interessant, dass Grindrs primäres Ziel die Vermeidung von interaktiven Praktiken zu sein scheint. Grindr-Nutzer scheinen dennoch, dazu gezwungen zu werden, miteinander kommunikativ in Kontakt zu treten. Tiefgründige Gespräche sind zwar nicht aus Nutzerperspektive erwünscht, aber kleine Chatverläufe sind Grundlage für das spätere Treffen und können beinahe eine Bedingung für das eigentliche Ziel (die hook-ups) darstellen. Daher sind (im Falle von Grindr) weniger Worte, manchmal mehr.
Literaturverzeichnis
Licoppe, Christian; Rivière, Carole Anne; Morel, Julien (2016): Grindr casual hook-ups as interactional achievements. In: New Media & Society 18 (11), S. 2540–2558. DOI: 10.1177/1461444815589702.
Nadège Seibring und Dana König