Ein Lektüreprotokoll des Aufsatzes Mediatisierung und Medialität in Social Media das Diskurssystem „Twitter“ von Mark Dang-Anh, Jessica Einspänner und Caja Thimm
von Camille Rose, Laura Wegner und Philip Ronden
1. Einleitende Bemerkungen
Die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit digital vermittelten Kommunikationsformen birgt gemäß Dang-Anh et al. (2013) ein großes Potenzial, welches Erkenntnisse und Rückschlüsse auf diskursspezifische Phänomene und sozial-kulturelle Praktiken ermöglicht, die sich wiederum im sprachlichen Mediengebrauch manifestieren (ebd.: 68f.). Digitale Kommunikation kann durch eine solche interdisziplinäre Forschung zutreffender beschrieben und genauer erfasst werden.
Die interdisziplinären „Bezugspunkte“ zwischen der Sprach-, Kommunikations- und Medienwissenschaft (welche sich aus der „Medialität der Sprache“ und der „zunehmende(n) Mediatisierung der Kommunikation“ ergeben) sollen, laut Dang-Anh et al. im Rahmen wissenschaftlicher Auseinandersetzung analysiert werden. Wie dies genau geschieht, veranschaulichen die Autor*innen anhand des Microbloggingsystems Twitter.
2. Das Verhältnis Medien und Sprachforschung
Digitale Verbreitungsmedien in jeglicher Form sind in unserem Alltag mittlerweile selbstverständlich und scheinen unentbehrlich geworden zu sein. Innerhalb der Forschung vollzog und vollzieht sich immer noch ein Wandel, der das Gebiet der Digitalisierung und Social-Media-Plattformen betrifft. Sprach- und Medienforschung wurde lange ein gegensätzliches, beziehungsweise den Gebieten sehr eigenständiges Forschungsinteresse, nachgesagt. Kommunikation und Sprache waren keine selbstverständliche Einheit in der wissenschaftlichen Betrachtung, eher wurde beides getrennt analysiert.
Das Konzept der Mediatisierung gilt in der deutschen Forschung als ein grundlegendes Modell zur Beschreibung und Erklärung sozialer Medien wie Twitter oder Facebook auf interdisziplinärer Basis (bd.: 71). Eine weiterer Fundierungsansatz der modernen Sozialwissenschaft ist die Theorie der Medialität. Auch sie kann dazu beitragen, „Zusammenhänge zwischen sprachlichen und gesellschaftlich-kulturellen Prozessen“ (ebd.: 70) zu verstehen. Das Medium wird jedoch nicht nur als bloßer Mittler verstanden. Sogenannte „Prägkräfte der Medien“ (Hepp zit. n. ebd.: 84) bilden sich heraus, welche im Prozess der Medienkommunikation ebendiese verändern (ebd.: 75).
3. Das Verhältnis von Mediatisierung, Medialität und deren Prägkräften am Beispiel des Microbloggingsystems Twitter
Twitter als soziales Netzwerk
Spätestens seit Donald Trump erlangt Twitter wieder größere Aufmerksamkeit, insbesondere in der politischen Kommunikation. Bei dem Microbloggingdienst handelt es sich um eine Plattform zur Kommunikation. Jedoch ist die Zeichenzahl der Posts, genannt Tweets, begrenzt. Die magische Zahl war lange Zeit die 140, diese ist 2017 jedoch auf 280 Zeichen angehoben worden. Ob diese Änderung dennoch der Aussage entspricht, dass die Beschränkung der Zeichenmenge zu einer sprachökonomischen Verwendung führe, müsste nun genauer untersucht werden. Fest steht aber in jedem Fall, dass so eine Art der Begrenzung in fast keinem anderen Social-Media-Netzwerk auftritt und dass diese Beschränkung in Verbindung mit der „Ad-hoc-Berichterstattung“, in Form von Fotos und Videos, Twitter zu einem sehr dynamischen Netzwerk macht (ebd.: 78f.). Wie im Blogbeitrag Die Singularisierung der spätmodernen Gesellschaft bereits aufgezeigt wurde, spielt des Weiteren eine Aufmerksamkeitslenkung in der digitalen Welt eine zentrale Rolle. So bekommen nur wenige User eine besonders große Aufmerksamkeit, während der Großteil eher weniger erhält.
Diskursmodell Twitter
Wendet man sich nun Twitter als einem Diskurssystem zu, differenzieren Dang-Anh et al. drei Ebenen, um die Komplexität des Phänomens zu bestimmen:
- Operatorenebene: programmdeterminierte, systembestimmte Zeichenkodierung
- Textebene: propositionaler Gehalt, Aussageebene, Inhalte der Tweets
- Performativ-funktionale Ebene: Handlungsziele und Handlungszwecke
Um dies zu veranschaulichen, weisen Dang-Anh et al. auf das Operatorenmodell von Thimm et al. 2011 hin, welches die für Twitter charakteristischen Kommunikationsoperatoren @, #, http:// und RT („Retweet“) und die damit zusammenhängenden Funktionen darstellt (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Ebenen der Twitter-Kommunikation, (Dang-Anh et al. 2013: 80)
Das @-Zeichen und das Hashtag werden im Folgenden ausführlicher erläutert.
@-Zeichen
Meist wird der @-Operator verwendet, wenn User miteinander sprechen (Adressierung) oder wenn sie übereinander reden (Erwähnung). Die jeweiligen durch @ markierten Accounts werden zudem verlinkt und die Adressaten erhalten eine Benachrichtigung. Das Wissen darüber, dass die genannte Person dadurch auf den Tweet aufmerksam werden kann, kann einerseits ein Zeichen für „transparente und faire Kommunikationskultur sein“, andererseits für die „Verstärkung von Diffamierungen, Bedrohungen und Beleidigungen“ stehen (Dang-Anh et al. 2013: 83). Der Account wird zudem oft grammatikalisch in den Satz eingebaut.
Des Weiteren wird eine Kohärenz generiert, da die Tweets durch die Verlinkungen technisch miteinander verbunden sind und die Interaktionssequenzen für Dritte nachvollziehbar sind. Auch handelt es sich bei der Interaktion nicht zwingend um eine dialogische Form, da sie beliebig viele Teilnehmer umfassen kann, deren Adressierungen zudem nicht zwingend zu einer Interaktion auffordern müssen. So ist das Ziel häufig die Verbreitung von Information, was zudem oft durch Hyperlinks unterstützt wird.
Hashtags (#)
Geht einer Zeichenketten ein Hashtag voraus, dann wird dieser Vorgang als „Tagging“ oder „Indexierung“ bezeichnet (ebd.: 83). Die Zeichenkette wird ebenfalls bei Twitter verlinkt, sodass man nach allen Tweets suchen kann, die diesen Hashtag beinhalten. Dies bewirkt eine Strukturierung und Themenfindung innerhalb des Diskurses und führt zu „Ad-Hoc-Öffentlichkeiten, die sich kurzfristig und temporär um bestimmte Hashtags bilden (ebd.: 84).
Getaggt werden dabei einerseits einzelne Wörter innerhalb eines Satzgefüges oder die Tags erfolgen am Ende der Aussage. Auch werden häufig Abkürzungen verwendet, welche spezifisch für singuläre Ereignisse und Veranstaltungen gebildet werden. Doch nicht immer müssen sie eine direkte Indexierungsfunktion aufweisen. So kann es sich auch um „kommunikativ-funktionale Verschlagwortung“ (ebd.: 85) handeln. Diese dienen der Kontextualisierung, mit häufig expressiver Funktion. Beispielsweise weist das Hashtag „#fail“ nicht zwingend darauf hin, dass es noch andere Tweets mit diesem Hashtag gibt, sondern soll die Aussage an sich unterstreichen. Dies zeigt, dass Tweets häufig Bestandteil eines „komplexen thematischen Diskurses“ sind, welcher sich zudem zu einem „hochkomplexe[n] Referenzierungssystem“ entwickelt (ebd.: 80).
Ein Fazit
Nachvollziehbar erläutern Dang-Anh et al. die Bedeutung der interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Mediengebrauch und den Sozialen Medien anhand der Sprach-, Medien-, und Kommunikationswissenschaft. In Anbetracht des heutigen gesellschaftlichen Stellenwertes digital vermittelten, öffentlichen Diskurses, begründet sich die Notwendigkeit, die sprachlich-kommunikativen Prozesse in Social Media als kulturelle und soziale Praktiken aufzufassen und zu untersuchen.
Diese Bedeutung haben Dang-Anh et al. bereits vor dem Jahre 2013 erkannt. Seither hat die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit digital vermittelten Kommunikationsformen an Relevanz weiter zugenommen. Nun ist es an der Zeit, von dem Erkenntnispotenzial und der Quelle neuer Ausgangspunkte möglicher Fragestellungen zu profitieren.
Nachweise/Links:
Dang-Anh, Mark; Einspänner, Jessica; Thimm, Caja (2013): Mediatisierung und Medialität in Social Media: Das Diskurssystem „Twitter“. In: Konstanze Marx und Monika Schwarz-Friesel (Hg.): Sprache und Kommunikation im technischen Zeitalter. Wieviel Internet (v)erträgt unsere Gesellschaft? Berlin, Boston: de Gruyter, S. 68–91.
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